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Auftragsänderungen während Vertragslaufzeit, mangelnde Aktivlegitimation

 

VwGH 07.06.2022, Ra 2021/04/0014

erschienen in ZVB, Zeitschrift für Vergaberecht und Bauvertragsrecht (MANZ'sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung GmbH)

§ 365 BVergG 2018; Art 72 RL 2014/24/EU

Der VwGH hat festgehalten, dass für die Antragslegitimation betreffend die Feststellung der rechtswidrigen Durchführung eines Vergabeverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung nicht der Nachweis erforderlich ist, dass der Antragsteller zu dem - in diesen Fällen in der Vergangenheit liegenden - Zeitpunkt der Auftragserteilung über die geforderte Eignung verfügt hat, weil bei Durchführung eines Vergabeverfahrens mit vorheriger Bekanntmachung die Angebotsfrist auch dafür genutzt werden kann, die Erfüllung der geforderten Eignungsanforderungen erst herzustellen. Es ist daher in einem derartigen Fall keine Eignungsprüfung rückwirkend für den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses durchzuführen. Allerdings hat der VwGH ebenso festgehalten, dass in diesem Fall eine Plausibilitätsprüfung vorzunehmen ist, für die alle maßgeblichen vorgebrachten Umstände in der Person des Antragstellers, die Eigenart des Leistungsgegenstands und die vom AG gestellten Anforderungen berücksichtigt werden können.

Sachverhalt

Mit Jahreswechsel 2001/2002 wurde die Beschaffung von Mittagessen für die öffentlichen Wiener Kindergärten ausgeschrieben. Die Vergabe erfolgte nach Durchführung eines offenen Verfahrens nach dem Bestbieterprinzip. Der Auftrag wurde mit Gemeinderatsbeschluss vom 11.09.2002 an die damals ermittelte Bestbieterin erteilt. Als Lieferbeginn wurde der 02.01.2003 vereinbart. Der Auftrag wurde seit mehr als 15 Jahren von der damaligen Bestbieterin erbracht.

Gemäß den Ausschreibungsbestimmungen aus dem Jahr 2002 umfasste die ausgeschriebene Leistung drei Menülinien mit prognostizierten Mengenanteilen. Bereits im Jahr 2006 veränderten sich die prognostizierten Menülinien folgend:

- "Menü Standard" (prognostiziert 60 %, tatsächlich 12 %);

- "Menü ohne Schweinefleisch" (prognostiziert 40 %, tatsächlich 85 %);

- "Menü fleischlos" (prognostiziert marginal, tatsächlich 3 %).

In den ursprünglichen Ausschreibungsbedingungen wurden die zu beliefernden Standorte festgehalten. In den mehr als 15 Jahren der Leistungserbringung (Auftragserteilung 2002 und Anfechtung 2018) kamen etliche neue Lieferorte hinzu, die nicht in den ursprünglichen Auftragsbedingungen vorgesehen waren. Der Auftragswert von ursprünglich 12,2 Mio Euro im Jahr 2003 hat sich bereits im Jahr 2004 auf 14,6 Mio Euro (+20 %) und im Jahr 2005 auf 15,6 Mio Euro (+25 %) erhöht. Zwischen der Zuschlagserteilung (2002) und dem Schuljahr 2016/2017 hat sich die Zahl der Kinder um rund +51 % erhöht.

Zudem hat sich der Anbietermarkt seit der Auftragserteilung im Jahr 2002 wesentlich verändert. Es sind neue Anbieter hinzugekommen, die den Wettbewerb beflügeln könnten.

Das Unternehmen der ASt wurde im Jahr 2013 gegründet und verfügt über ein Handelsgewerbe sowie über die Gewerbeberechtigungen Gastgewerbe Restaurant, Imbissstube, Lieferküche und das Fleischerhandwerk. Demzufolge war die ASt um diesen Auftrag bemüht und erachtete in den vielfachen Auftragsänderungen eine vergaberechtlich unzulässige Vorgehensweise.

[Erster Rechtsgang]

Im ersten Rechtsgang hat das VwG Wien (VwG Wien 28.05.2018, VGW-123-/077/3411/2018-9) den Feststellungantrag abgewiesen, jedoch die oRev zugelassen, da höchstgerichtlich nicht geklärt sei, ob Art 72 der RL 2014/24/EU (Auftragsänderungen) auf besondere Dienstleistungen gem Art 74 leg cit anwendbar sei. Mit der Entscheidung des VwGH (VwGH 16.06.2020, Ro 218/04/0015) wurde das Erkenntnis des VwG Wien aufgehoben und die Ergänzung des Sachverhalts aufgetragen. Im Besonderen sollte geklärt werden, wann - in zeitlicher Abfolge - die behaupteten Auftragsänderungen stattgefunden hätten, um den Zeitpunkt einer rechtswidrige Neuvergabe feststellen zu können. Auf die ursprünglich vom VwG Wien aufgeworfene Frage der Abwendbarkeit des Art 72 der RL 2014/24/EU auf besondere Dienstleistungen gem Art 74 leg cit musste der VwGH nicht eingehen.

[Zweiter Rechtsgang]

Im zweiten Rechtsgang stellte das VwG Wien (VwG Wien, 10.11.2020, VGW-123/077/7868/2020E-19) fest, dass Änderungen der Leistungsinhalte zwischen Beginn der Leistungserbringung (2003) und dem 02.01.2017 bzw 02.01.2018 glaubhaft gemacht wurden, welche nicht durch klare, eindeutige und bestimmte Änderungsklauseln gedeckt gewesen seien. Allerdings verfüge die ASt in diesen Zeitpunkten nicht über die erforderliche Befugnis für ein Gastgewerbe in der Betriebsart Lieferküche, was nach Ansicht des VwG Wien erforderlich wäre. Mit dem damals vorhandenen Handelsgewerbe hätte die ASt nur Fertigmenüs ankaufen und liefern können; sie hätte insofern nur einen Teil des Auftrags abdecken können (VwG Wien, 10.11.2020, VGW-123/077/7868/2020E-19, 16).

Mit der aoRev wurde dargelegt, dass im Feststellungverfahren eine Eignungsprüfung nicht vorgesehen ist und daher der ASt nicht per se die Antragslegitimation abzusprechen sei (VwGH 16. 12. 2015, Ro 2014/04/0065).

Aus den Entscheidungsgründen:

Das VwG traf zunächst nähere Feststellungen zum Inhalt des zugrundeliegenden Vertrags (insb zu den Punkten Speisenangebot, Zusammensetzung der Menügänge, Einheitspreis, Überarbeitung der Speisepläne, Liefermengen, Vertragsdauer, Standorte sowie europaweite Ausschreibung des ursprünglichen Auftrags). Da die AG das Vorbringen der RevWerberin zwar bestritten, selbst aber kein Datenmaterial vorgelegt habe, sei davon auszugehen, dass die von der RevWerberin vorgebrachten Änderungen des Vertrags - soweit nicht durch Fakten widerlegt - tatsächlich eingetreten seien. Die RevWerberin verfüge über folgende Gewerbeberechtigungen: Handelsgewerbe (seit 13.01.2014), Gastgewerbe Restaurant (seit 13.06.2016), Gastgewerbe Imbissstube (seit 01.12.2017), Gastgewerbe Lieferküche (seit 11.01.2018). Zu den im Feststellungsantrag angeführten Zeitpunkten der Vertragsänderung (02.01.2017 und 02.01.2018) habe die RevWerberin somit nicht über eine Befugnis für das Gastgewerbe in der Betriebsart Lieferküche verfügt. Die GG GmbH (Zweitmitbeteiligte, aktuelle AN), die (durch Umgründung bzw Umbenennung) aus der ursprünglichen Vertragspartnerin hervorgegangen sei, verfüge ua über die Befugnis Gastgewerbe in der Betriebsart Lieferküche.

In rechtlicher Hinsicht führte das VwG zur Antragslegitimation der RevWerberin (auf das Wesentliche zusammengefasst) mit näherer Begründung aus, dass das Handelsgewerbe der RevWerberin keine einschlägige Grundlage für die (vom Vertragsinhalt umfasste) Herstellung der auftragsgegenständlichen Fertigmenüs sei, zumal der Auftrag keine Einschränkung auf "Speisen einfacher Art" enthalte. Auch die vorhandene Befugnis für das Gastgewerbe in der Betriebsart Restaurant decke die nachgefragte Leistung nicht ab, weil die Herstellung von Fertigmenüs für die Betriebsart Restaurant nicht betriebsarttypisch sei. Auch eine Leistungserbringung im Wege näher dargestellter Nebenrechte gem § 32 GewO 1994 komme (im Hinblick auf die diesbezüglich vorgesehenen umfangmäßigen Beschränkungen bzw mangels Vorliegens einer untergeordneten Tätigkeit) nicht in Betracht. Die RevWerberin habe - so das VwG - durchgehend argumentiert, selbst über die erforderlichen Befugnisse zu verfügen, wobei sie insb ihre Befugnis für das Handelsgewerbe als ausreichend angesehen habe. Dass sie die (bis zum 11.01.2018) fehlende Befugnis für das Gastgewerbe in der Betriebsart Lieferküche durch Eingehen einer Bietergemeinschaft oder durch Beiziehung eines Subunternehmers substituiert hätte, habe die RevWerberin nicht vorgebracht. Der RevWerberin hätte daher durch die von ihr beanstandeten Vertragsänderungen zum 02.01.2017 und zum 02.01.2018 kein Schaden entstehen können, weshalb es ihr an der Antragslegitimation mangle. [...]

Der VwGH hat - worauf die RevWerberin dem Grunde nach zutreffend hinweist - festgehalten, dass für die Antragslegitimation betreffend die Feststellung der rechtswidrigen Durchführung eines Vergabeverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung nicht der Nachweis erforderlich ist, dass der ASt zu dem - in diesen Fällen in der Vergangenheit liegenden - Zeitpunkt der Auftragserteilung über die geforderte Eignung verfügt hat, weil bei Durchführung eines Vergabeverfahrens mit vorheriger Bekanntmachung die Angebotsfrist auch dafür genutzt werden kann, die Erfüllung der geforderten Eignungsanforderungen erst herzustellen. Es ist daher in einem derartigen Fall keine Eignungsprüfung rückwirkend für den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses durchzuführen (vgl zu allem VwGH 16.12.2015, Ro 2014/04/0065, Pkt II.4.3.).

Allerdings hat der VwGH ebenso festgehalten, dass in diesem Fall eine Plausibilitätsprüfung vorzunehmen ist, für die alle maßgeblichen vorgebrachten Umstände in der Person des ASt, die Eigenart des Leistungsgegenstands und die vom AG gestellten Anforderungen berücksichtigt werden können (vgl erneut VwGH Ro 2014/04/0065, Pkt II.4.3.). Somit besteht in derartigen Konstellationen für den ASt zwar keine generelle Verpflichtung zur Erbringung bestimmter Nachweise, es kann aber auch keine generelle Unzulässigkeit des Einforderns einer bestimmten Glaubhaftmachung postuliert werden (vgl VwGH 07.03.2017, Ra 2017/04/0010, Rn 13). Die Anforderungen an die Plausibilisierung der eigenen Antragslegitimation richten sich dabei nach den konkreten Umständen des Einzelfalls.

Zwar ist die vom VwG im vorliegenden Fall diesbezüglich vorgenommene Beurteilung insofern etwas kursorisch ausgefallen, als das VwG lediglich darauf verweist, dass die RevWerberin auf die - von ihr als ausreichend angesehene - Gewerbeberechtigung für das Handelsgewerbe verwiesen und nicht vorgebracht habe, ihre fehlende Befugnis durch Eingehen einer Bietergemeinschaft oder Beiziehung eines notwendigen Subunternehmers substituieren zu können. Allerdings hält die RevWerberin dem in ihrem Zulässigkeitsvorbringen lediglich entgegen, sie hätte auf geeignete Dritte zugreifen können. Mit diesem nicht näher substantiierten Vorbringen wird jedoch kein Abweichen von der hg Rsp zur Plausibilitätsprüfung bei der Beurteilung der Antragslegitimation aufgezeigt, zumal der von der RevWerberin ins Treffen geführte Umstand (Möglichkeit der Beiziehung eines Unternehmers mit der Gewerbeberechtigung Gastgewerbe für die Betriebsart Lieferküche als notwendiger Subunternehmer in einem Vergabeverfahren betreffend die Versorgung von ca 30.000 Kindern mit Mittagessen) mit der dem zit Erk Ro 2014/04/0065 zugrundeliegenden Konstellation (Möglichkeit der kurzfristigen Beschaffung von am Markt verfügbaren Fahrzeugen) nicht vergleichbar ist (vgl insoweit erneut VwGH Ra 2017/04/0010, Rn 14 f). Die RevWerberin bringt auch nicht vor, dass sie - entgegen der Ansicht des VwG - die Möglichkeit der Beiziehung eines Subunternehmers im Verfahren glaubhaft gemacht habe. [...]

Glosse

Der gegenständliche Verfahrensverlauf zeigte sehr deutlich die Problemstellen eines Feststellungsverfahrens auf.

Die erste Hürde liegt darin, dass der ASt den eindeutigen Beweis für ein rechtwidriges Abweichen vom ursprünglichen Auftrag erbringen muss. Ohne (Akten-)Einsicht in die vertraglichen Bestimmungen zwischen AG und AN bleibt es bei bloßen Mutmaßungen, zB gestützt auf öffentliche Informationen aus den Medien. Im konkreten Fall lag die ursprüngliche Auftragserteilung mehr als 15 Jahre zurück. In diesem langen Zeitraum waren die konkreten Zeitpunkte von Auftragsänderungen seitens der im Dunkeln tappenden ASt gar nicht auszumachen. Insofern sollte es eigentlich dem AG obliegen, die Behauptungen der ASt zu widerlegen oder einzugestehen und sodann zeitlich festzumachen. Allerdings hat das Gesetz hier mE keine Regelungen für einen effektiven Rechtsschutz im Feststellungsverfahren getroffen. Mangels eines konkreten Gegenvorbringens des AG geht das angerufene VwG sodann von der Richtigkeit der unwiderlegten Behauptung aus. Ob diese Vorgehensweise im Einklang mit dem Grundsatz der Erforschung der materiellen Wahrheit steht, erscheint fragwürdig. Ein passiver bzw schweigsamer AG kann damit ein Feststellungsverfahren deutlich in die Länge ziehen und sein Gegenvorbringen auch erst im Zuge der Revision erstatten.

Als ob diese "Dunkelkammer" für den ASt nicht bereits genug Aufwand darstellt, versuchen die AG auch die vergaberechtliche Eignung eines unliebsamen ASt in Frage zu stellen. Nach dem Motto: Ein nicht geeigneter ASt würde ohnehin nie den Auftrag erhalten. Der VwGH hat dies ehemals bereits abgetan und einleuchtend entschieden, dass eine rückwirkende Eignungsprüfung des ASt zum Zeitpunkt der Vergaberechtswidrigkeit nicht erfolgen soll (VwGH 16.12.2015, Ro 2014/04/0065). Die Begründung hierfür ist durchaus sinnvoll, weil ein ASt im Fall eines Vergabeverfahrens entsprechend den dortigen Bestimmungen eine Bewerber-/Bietergemeinschaft eingehen oder sich mit geeigneten Subunternehmen verstärken hätte können. Mit der gegenständlichen Entscheidung schafft der VwGH hier nun aber eine zweite Hürde, welche ein ASt meistern muss, um zu seinem Recht - Teilnahme an einer freien und fairen Neuvergabe - zu kommen. Nach Ansicht des VwGH reiche es nicht mehr aus, pauschal auf die Möglichkeit einer Beiziehung von geeigneten Dritten zu verweisen. Damit wäre im gegenständlichen Fall nicht die geforderte Plausibilitätsprüfung der vergaberechtlichen Eignung zur Belieferung von 30.000 Kindern möglich gewesen. Die Begründung erscheint kaum nachvollziehbar, weil die ASt damit gezwungen gewesen wäre, konkret darzulegen, wie sie im Zeitpunkt der rechtswidrigen Auftragsänderung ihre Eignung für den Fall einer Neuvergabe beigebracht hätte. Da aber gerade keine Neuvergabe stattgefunden hat, ist diese Überlegung zum Nachweis der konkreten Eignung doppelt hypothetisch. Die ASt wusste nicht exakt, wann eine rechtswidrige Auftragsänderung erfolgt ist - diese musste erst im zweiten Rechtsgang festgestellt werden(!) -, und konnte sich insofern auch nicht zu diesem unbekannten Zeitpunkt um eine mögliche Befugnis kümmern.

Gerade im Feststellungverfahren ist einem ASt der genaue Auftragsgegenstand nicht bekannt, weil dieser eben keinen Einblick in die zugrundeliegenden Rechte und Pflichten des derzeitigen AN hat. Um einen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, müsste jedem ASt ein potenzielles Interesse und somit eine Aktivlegitimation zugesprochen werden. Es kann nicht darauf abgestellt werden, dass ein ASt nur teilweise für den Feststellungsgegenstand befugt wäre und von dritter Seite die restlichen Leistungen zukaufen müsste. Die gesetzliche Mindestdauer eines Vergabeverfahrens kann eben gerade für die Erlangung der Eignungsanforderungen genützt werden. Fehlende Befugnisse können dabei selbst erworben oder durch Beiziehung von Drit-ten erlangt werden. Das Abweichen von der klaren Rsp, dass eine rückwirkende Eignungsprüfung für den ASt im Feststellungverfahren nicht zum Stresstest gehören soll, kann nur zum Nachteil des Rechtsschutzsuchenden führen. Abseits des unbefriedigenden Ergebnisses wurde allerdings in den Medien nur wenige Wochen vor Zustellung der Entscheidung des VwGH kolportiert, dass der antragsgegenständliche Auftrag nach nun bald 20 Jahren doch wieder neu ausgeschrieben werden soll, womit letztlich das Ziel einer Neuvergabe erreicht werden konnte.

 
Sandro Huber