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Auslieferung von Antigentests - Nichtigerklärung der gesamten Ausschreibung

 

BVwG 14.9.2022, W187 2257846 -2 in ZVB, Zeitschrift für Vergaberecht und Bauvertragsrecht (MANZ'sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung GmbH)

Wenn die Preise nicht ohne Übernahme nicht kalkulierbarer Risiken ermittelt werden können, ist mit betriebswirtschaftlich nicht erklärbaren, unter der Annahme eines bestimmten Risikos spekulativen Preises zu rechnen, sodass diese Rechtswidrigkeit wesentlichen Einfluss auf den Ausgang des Vergabeverfahrens hat. Daher ist die Ausschreibung für nichtig zu erklären (BVwG 14.9.2022, W187 2257846 -2)

Sachverhalt

Die Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH (kurz: AG) schrieb eine Rahmenvereinbarung über Dienstleistungen im Oberschwellenbereich im Wege eines offenen Verfahrens aus. Gegenstand des Vergabeverfahrens war die Auslieferung von Antigentests im gesamten Bundesgebiet.

Die ASt brachte einen Nachprüfungsantrag ein, mit dem sie die Nichtigerklärung einzelner Ausschreibungsbestimmungen bzw der gesamten Ausschreibung begehrte. Die ASt brachte im Wesentlichen vor, dass die Angaben zur Befugnis unklar seien, dass der Angebotspreis aufgrund fehlender Angaben über das Gewicht der zu lagernden und zu transportierenden Güter unkalkulierbar sei, die notwendige Lagerfläche aufgrund der Angaben in der Ausschreibung nicht zu ermitteln seien und die Bestimmungen über die Rücknahme von Antigentestes durch die nachträgliche Abgabe eines ergänzenden Angebots einerseits eine wesentliche Änderung der Rahmenvereinbarung darstelle, andererseits spekulative Angebote erwarten ließe.

Entscheidungsgründe

[Rechtliche Beurteilung]

[...]

3.3.4 Zur Angabe des Gewichts

3.3.4.1 Die ASt verlangt Angaben über das Gewicht der zu transportierenden und zu lagernden Waren. Die AG bringt dagegen vor, dass es jedem Unternehmer anhand der Angaben über den Inhalt und die Verpackungsgrößen der Waren oder aufgrund von Nachfragen bei einem Hersteller möglich sein müsse, das Gewicht der Waren zu erfahren.

[...]

3.3.4.3 In der Ausschreibung finden sich [...] [bloß] Angaben über die Verpackungsgrößen. [...] In der Ausschreibung ist an keiner Stelle ein konkretes Produkt genannt [...].

3.3.4.4 Der ASt ist zuzugestehen, dass für den Transport von Waren das Gewicht der zu transportierenden Waren ein wichtiger Faktor ist. Aus der Ausschreibung und den Angaben der AG ist zu erkennen, dass der AN unterschiedliche Antigentests zustellen muss, deren Größen sich in einer bestimmten Bandbreite bewegen. Angaben über das Gewicht verweigert die AG [...] bewusst.

[...]

3.3.4.5 Eine Nachfrage oder Internetrecherche bei einem Hersteller von Antigentests ist mangels Angabe der zu liefernden Produkte nach Ansicht des BVwG nicht zumutbar [...]. Weiters ist zu berücksichtigen, dass Antigentests unterschiedlicher Hersteller zuzustellen sind, weshalb sich der Bieter einen möglichst vollständigen Überblick über die Hersteller und Lieferanten von Antigentests verschaffen muss, um das Gewicht eingrenzen zu können. [...] Damit besitzen Unternehmer, die auf den Transport von Medikamenten und Medizinprodukten spezialisiert sind und damit einen Überblick über den Markt [...] haben, einen Vorteil gegenüber reinen Transportdienstleistern oder Logistikern [...]. Da die AG [die Angabe zumindest einer Spanne an Gewichten der zu liefernden Antigentests] unterlassen hat, genießen auf den Transport von Medizinprodukten spezialisierte Unternehmer bei der Abfassung und Kalkulation einen Wissens- und Wettbewerbsvorteil [...]. Überdies muss ein Bieter ohne dieses Wissen ein nicht kalkulierbares Risiko auf sich nehmen.

3.3.5 Zum Erfüllungsort

3.3.5.1 Die ASt bemängelt, dass [...] keine Vorsorge für Zustellprobleme, die auf der Seite des Empfängers der Sendung lägen, getroffen seien und daher die Leistung nicht kalkulierbar sei. [...]

[...]

3.3.5.5 Die ASt bringt Probleme bei der Zustellung wie die Ortsabwesenheit des Empfängers ins Spiel, die in der Ausschrei-bung nicht behandelt seien. [...] Es ist [...] anzunehmen, dass es bei öffentlichen Apotheken nicht zu Problemen mit der Annahme kommen kann. Anders ist es bei Hausapotheken. Diese unterliegen nicht diesen strengen Regelungen über Öffnungszeiten, sodass es zu diesen Problemen kommen kann. Die AG verweist dazu auf dispositives Recht, ohne es näher zu bezeichnen. Daher ist davon auszugehen, dass ungeklärt ist, was im Fall eines Problems bei der Annahme einer bestellten Lieferung geschehen soll. Dass diese Probleme bei der Annahme einer bestellten Lieferung den AN belasten und seinen Aufwand bei der Durchführung des Auftrags erhöhen, liegt jedoch auf der Hand. Daher müsste die Ausschreibung dafür Vorsorge treffen. Da sie keine Regelungen für diesen Fall vorsieht, bürdet sie dem Bieter ein insofern nicht kalkulierbares Risiko eines Mehraufwands etwa durch einen wiederholten Zustellversuch auf.

3.3.6 Zur Lagerfläche

3.3.6.1 Die ASt bringt vor, dass sie Angaben über die Verpackungsgrößen und -gewichte der Anlieferung der Antigentests, die zulässigen Lagerstandorte und die nötige Lagerfläche brauche, um die nötige Lagerfläche kalkulieren zu können. [...]

[...]

3.3.6.5 Zur Größe und dem Gewicht jener Einheiten, in denen Antigentests in das Lager geliefert werden, fehlen in der Ausschreibung alle Angaben. [...] Die Ausführungen der AG, dass die Anlieferung auf Europaletten erfolgt, ist plausibel, weil Europaletten für die Lieferung von Stückgut in Schachteln einen allgemeinen Standard darstellt. Diesen Standard kennt auch die ASt [...]. [...] Da jedoch davon auszugehen ist, dass ein Bieter eine oder mehrere Lagerhallen verwenden muss und allenfalls für die Lagerung der Waren Hochregallager, die selbst einer Gewichtsbeschränkung unterliege, verwendet, ist die Angabe des zu lagernden Gewichts notwendig, um das benötigte Lager abschätzen zu können. Gleiches gilt für die Höhe, mit der Antigentests auf den Paletten gestapelt sind. Sie bestimmt die Möglichkeit, ein bestimmtes Regallager verwenden zu können. [...]

3.3.6.6 Um die benötigte Lagerfläche kalkulieren zu können, muss der Bieter wissen, wie viele Antigentests auf einer Europalette geliefert werden. [...] Die Angabe der Anzahl an Antigentests pro Europalette [...] wäre [...] notwendig, um das Angebot kalkulieren zu können. Durch das Fehlen dieser Angaben muss der Bieter Annahmen treffen und auf einer unsicheren Grundlage seine Preise kalkulieren. Ein auf die Lieferung von Medizinprodukten spezialisierter Unternehmer genießt daher einen Wettbewerbsvorsprung. Ein nicht darauf spezialisierter Unternehmer muss bis zu einem gewissen Grad spekulieren.

3.3.7 Zur Rücknahme von Antigentests

3.3.7.1 Die ASt bringt vor, dass die Teilleistung der Rücknahme von Antigentests nicht auszupreisen, sondern in den in der Ausschreibung vorgesehenen Fällen auf Grundlage eines Abrufs mit Konkretisierung zu erbringen sein werde und dies zur Spekulation einlade. Die AG bringt dagegen vor, dass ein Abruf mit Konkretisierung auch bei einer Rahmenvereinbarung mit nur einem Bieter zulässig sei, nicht sicher sei, in welchem Ausmaß überhaupt Rücknahmen durchzuführen sein würden und auch bei Nachtragsangeboten eine Preisprüfung stattfinden werde.

[...]

3.3.7.5 Fälle der Rücknahme von Antigentests sind nach [den] Ausschreibungsbedingungen bei fehlerhaften Produkten und bei Restkontingenten im Fall der Beendigung der Screening-Programme. Der AG ist zuzubilligen, dass die Anzahl der Rücknahmen bei fehlerhaften Produkten schwer absehbar ist. Allerdings kann mittlerweile davon ausgegangen werden, dass darüber bereits Erfahrungswerte bestehen, sodass dieser Fall der Rücknahme sicherlich in das Leistungsspektrum der Rahmenvereinbarung aufgenommen werden könnte. [...] Sie stellt in der Intention des Auftrags sicherlich einen unvorhergesehenen Ausnahmefall dar, sodass es sich nicht um eine vorhersehbare Leistung handelt. Es handelt sich aber um eine denkmöglich zu erbringende Leistung. Die Bedingungen für die Erbringung dieser Leistung [...] sind nicht vollständig in der Ausschreibung spezifiziert. Daher ließe sich eine derartige Vorgabe lediglich [...] im Wege des in der Ausschreibung vorgesehenen Abrufs mit Konkretisierung vornehmen. [...] Ein solcher Abruf darf jedenfalls nicht zu einer gänzlich anderen Leistung führen [...]. Da jedoch anders als bei der Verteilung von Antigentests an Apotheken bei der Rücknahme mit bereits ausgepackten Verpackungseinheiten aus welchem Lager auch immer zu rechnen ist und der AN diese allenfalls selbst in Gebinde packen muss, ist die Leistung bereits anders als die Verteilung. [...]

3.3.7.6 Dass deshalb mit einer spekulativen Angebotslegung zu rechnen ist, ergibt sich nicht automatisch. [...]

3.3.8 Zusammenfassung

[...]

3.3.8.2 Wie oben ausgeführt sind insbesondere die Angabe des Gewichts der Antigentests und die Packungshöhen bei der Anlieferung in das Lager des AN wesentliche Angaben, um die Leistung kalkulieren zu können. Das Fehlen dieser Angaben führt dazu, dass die ASt das Angebot nicht kalkulieren kann. Weiters macht das Fehlen von Festlegungen für den Fall, dass es bei der Zustellung an einen Lieferort zu Lieferschwierigkeiten kommt, weil etwa eine Hausapotheke nicht geöffnet hat, den Preis schwer kalkulierbar. Daher widerspricht das Fehlen dieser Angabe § 88 Abs 2 BVergG 2018 und verletzt die ASt in dem von ihr geltend gemachten subjektiven Recht auf gesetzmäßige Ausgestaltung von Ausschreibungsunterlagen, sodass die Preise ohne Übernahme nicht kalkulierbarer Risiken angeboten werden können. Schließlich stellt sich die Frage, ob ein Abruf mit Konkretisierung nicht den Rahmen des § 155 Abs 3 Z 2 lit b BVergG 2018 sprengt und die Rücknahme noch eine gleichartige Leistung ist. Damit ist die Ausschreibung gemäß § 347 Abs 1 Z 1 BVergG 2018 rechtswidrig. Wenn nun die Preise nicht ohne Übernahme nicht kalkulierbarer Risiken ermittelt werden können, ist mit betriebswirtschaftlich nicht erklärbaren, unter der Annahme eines bestimmten Risikos spekulativen Preises zu rechnen, sodass diese Rechtswidrigkeit wesentlichen Einfluss auf den Ausgang des Vergabeverfahrens [...] hat. Daher ist die Ausschreibung für nichtig zu erklären.

Glosse

Im gegenständlichen Fall hatte das BVwG über die Anfechtung der Ausschreibung zur Verteilung von Antigentests im gesamten Bundesgebiet zu entscheiden, nachdem der erste Versuch eines solchen Vergabeverfahrens nach einer Anfechtung (freiwillig) bereits mit einem Widerruf beendet wurde.

Die Besonderheit des gegenständlichen Falls liegt darin, dass das BVwG nicht bloß einzelne Ausschreibungsbestimmungen, sondern die Ausschreibung zur Gänze für nichtig erklärte.

Dies ist aber in Anbetracht der Anzahl und der inhaltlichen Auswirkungen der rechtswidrigen Ausschreibungsbestimmungen nicht verwunderlich. Schließlich traf die AG in den Ausschreibungsbestimmungen keine Feststellungen zum Gewicht der zu transportierenden Waren. Nach Ansicht der AG wäre es den Bietern zumutbar, das Gewicht der - nicht näher spezifizierten Waren - bei den (nicht genannten) Herstellern zu eruieren. Angesichts dieser vielen Unbekannten einen angemessenen Preis zu kalkulieren, ohne in den Bereich der Spekulation nach dem Prinzip eines Glücksrads zu kommen, erschien der ASt unmöglich. Einen Wettbewerbsvorteil für Unternehmer, die auf den Transport von Medikamenten und Medizinprodukten spezialisiert sind, wollte die AG darin erstaunlicherweise nicht erkennen.

Auch bezüglich der Abmessungen der zu lagernden bzw zu liefernden Waren (Höhe der gestapelten Antigentests auf einer Europalette) ließ die AG die Bieter im Dunkeln tappen. Die Angabe, dass die Anlieferung auf Europaletten erfolge, reichte der AG zufolge als Grundlage aus, um den Angebotspreis zu kalkulieren. Das BVwG war diesbezüglich aber richtigerweise der Meinung, dass es für den Bieter hinsichtlich der Lagerungsmöglichkeiten unerlässlich ist zu wissen, wie viele Antigentests auf einer Europalette geliefert werden, da der Bieter ansonsten "Annahmen treffen und auf einer unsicheren Grundlage seine Preise kalkulieren" müsse.

Ein weiteres nicht kalkulierbares Risiko wurde auf die Bieter umgewälzt, indem die AG keine Regelung für Probleme bei der Zustellung an Hausapotheken traf. Das BVwG führte dabei plausibel ins Treffen, dass die Ausschreibung auch dafür Vorsorge treffen müsse. Ebenso kritisch wurde zu Recht der Umstand betrachtet, dass die Bedingungen allfälliger Warenrücknahmen erst im Zuge der konkreten Leistungserbringung mit dem AN ausverhandelt werden. Hierzu wurde praxisnah angemerkt, dass ausgepackte Retourware nicht unbedingt mit der Auslieferung von Originalverpackungen zu vergleichen ist. Für interessierte Bieter, die typischerweise auf das Ausliefern aus dem Warenlager spezialisiert sind, ist das Einsammeln und Retourliefern unverpackter Waren unterschiedlicher Verpackungsgrößen ein systemwidriger Vorgang, der auch gesondert kalkuliert werden muss.

Das BVwG entschied schließlich zu Recht, dass die ASt in ihrem subjektiven Recht auf gesetzmäßige Ausgestaltung von Ausschreibungsunterlagen verletzt wurde und die Ausschreibung für nichtig zu erklären ist.

 
Sandro Huber