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Zu aktuellen Entscheidungen und Rechtsentwicklungen veröffentlichen wir laufend unsere Beiträge in Fachzeitschriften. Überzeugungsarbeit beginnt mit einer fundierten Meinungsbildung.

 
 

Haftungsfalle Ausschreibungsunterlagen

 

Monatsbrief Initiative Baukunst 03/2021 - Initiative Baukunst / Newsletter

Erfahrungsgemäß wird bei der Erstellung der Ausschreibungsunterlagen mehr Wert auf Formalhürden für die Bieter gelegt als auf den Leistungsinhalt selbst. Ausschreibende Stellen übersehen gern, dass die Leistungsbeschreibung – sei sie konstruktiv oder funktional – das Kernstück der Ausschreibungsunterlagen und damit die Kalkulationsgrundlage für den Bieter ist. Hinzu kommen weitere Kalkulationsgrundlagen, wie zB Pläne, Gutachten etc, die dem Bieter mit den Ausschreibungsunterlagen zur Verfügung gestellt werden. Der öffentliche Auftraggeber hat die Bedingungen so zu gestalten, dass alle Parameter für die Berechnung des Angebotspreises vorhanden sind und alle Bieter von denselben Grundlagen ausgehen. Das Bundesvergabegesetz gibt dem Auftraggeber dazu eine klare Vorgabe: „Die Ausschreibungsunterlagen sind so auszuarbeiten, dass die Preise ohne Übernahme nicht kalkulierbarer Risiken und ohne unverhältnismäßige Ausarbeitungen von den Bietern ermittelt werden können“ (§ 88 Abs 2 BVergG). Schließlich müssen alle Angebote vergleichbar sein.

Passieren in der Ausschreibungsphase Fehler oder ist die Leistungsbeschreibung samt beigelegter Pläne, Proben etc lückenhaft (gar fehlerhaft), kann dies zu einem hohen Nachtragspotenzial auf Seiten des zukünftigen Auftragnehmers führen. Besondere ist dann geboten, wenn er der Auftraggeber dem Auftragnehmer die konkrete Art und Weise der Ausführung und nicht nur das zu erreichende Ziel vorschreibt. Dass es sich in einem solchen Fall um eine „verbindliche Anweisung“ des Auftraggebers handelt, die der Bieter zwingend einzuhalten hat, wurde vom Obersten Gerichtshof in einer Entscheidung über eine Mehrkostenforderung eines Erdbauunternehmens im Zuge der Errichtung eines Hochwasser-Dosierwerks bestätigt (OGH 19.02.2020, 7 Ob 191/19t). Im dortigen Fall behauptete der Auftragnehmer, dass er aufgrund der klaren Vorgabe des Auftraggebers im Zuge der Ausschreibung davon ausgehen musste, dass das Schüttmaterial aus dem angrenzenden Hang verwenden soll. Grundlage für diese Annahme des Auftragnehmers war ein mit den Ausschreibungsunterlagen übermittelter wasserrechtlicher Bescheid, eine Vorab-Zustimmung der benachbarten Eigentümerin zur Verwendung des Aushubmaterials sowie ein geologisches Gutachten, dass die Eignung des Aushubs als Schüttmaterial attestiert hat. Der Auftragnehmer musste daher im Zuge der Angebotskalkulation davon ausgehen, dass der Auftraggeber die Verwendung des Materials verbindlich vorgab und nicht nur angeregt oder empfohlen hat. Der Angebotspreis wurde entsprechend dieser Anweisung des Auftraggebers kalkuliert. Erst später stellte sich heraus, dass das geologische Gutachten fehlerhaft war und die Verwendung als Schüttmaterial nur mit erhöhtem Aufwand und zusätzlichen Maßnahmen (Errichtung einer Spundwand) möglich war. Dem Gutachtensersteller wurde im Verfahren der Streit verkündet, da der Auftraggeber im Falle des Unterliegens in Regress gehen kann.

Ob der Auftragnehmer tatsächlich seine begehrten Mehrkosten erhält, konnte noch nicht abschließend geklärt werden. Es ist nun ein neuerliches Beweisverfahren darüber zu führen, ob der Auftragnehmer diese „untaugliche Anweisung“ (fehlerhaftes Gutachten) bereits im Zuge seiner Angebotserstellung erkennen hätte müssen. Bejaht man dies, fällt der Auftragnehmer um seine Mehrkostenforderungen um, da er seiner vorvertraglichen Warnpflicht nicht ausreichend nachgekommen ist. War dies allerdings für den Auftragnehmer vorab nicht erkennbar und ergab sich die Unrichtigkeit des geologischen Gutachtens erst im Zuge der Bauausführung, kann die Mehrkostenforderung berechtigt sein.

Dieser Rechtsstreit zeigt, dass unpräzise oder gar unrichtige Vorgaben in den Ausschreibungsunterlagen zu einer Verteuerung des Projekts und zu langjährigen Gerichtsverfahren führen können. Vor dem Hintergrund, dass undeutliche Äußerungen in Ausschreibungsunterlagen zu Lasten des Auftraggebers gehen, hat er dem Auftragnehmer allfällige Nachteile aus einem „Missverständnis“ abzugelten. Bediente sich der Auftraggeber Dritter (zB Plan- oder Gutachtensersteller) wird über diesen Weg eine Haftungsgrundlage dieser Konsulenten geschaffen (Regress).

 
Brigitte Berchtold