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Zu aktuellen Entscheidungen und Rechtsentwicklungen veröffentlichen wir laufend unsere Beiträge in Fachzeitschriften. Überzeugungsarbeit beginnt mit einer fundierten Meinungsbildung.

 
 

Einführung interdisziplinärer Gesellschaften und Wegfall des Koalitionsverbots

 

Monatsbrief Initiative Baukunst 4/2022 - Initiative Baukunst / Newsletter

Erst im Jahr 2019 hat der Nationalrat eine neue und einheitliche Gesetzesgrundlage für ZiviltechnikerInnen geschaffen. Die bis dahin geltenden Regelungen aus dem Ziviltechnikergesetz 1993 und dem Ziviltechnikerkammergesetz 1993 wurden in das Ziviltechnikergesetz 2019 (ZTG 2019) zusammengeführt. Im ersten Hauptstück des Gesetzes wird das Berufsrecht geregelt und im zweiten Hauptstück die berufliche Vertretung durch die Ziviltechnikerkammern. Mit der Neueinführung des ZTG 2019 wurden hauptsächlich Erleichterungen für die Ausbildung und die Berufsausübung der ZiviltechnikerInnen geschaffen:

  • ZiviltechnikerInnen ist es nun gestattet, mit aufrechter Befugnis in einem Dienstverhältnis zu anderen ZiviltechnikerInnen bzw einer Ziviltechnikergesellschaft zu stehen, auch ohne Gesellschafter zu sein.

  • Zudem durften Ziviltechnikergesellschaften fortan in jeglicher Gesellschaftsform gegründet und ins Firmenbuch eingetragen werden. Die Voraussetzung, dass der Gesellschaftssitz in Österreich sein muss, wurde fallen gelassen.

Kurz nach der Kundmachung des neuen ZTG 2019 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass einzelne Bestimmungen des ZTG 2019 unionsrechtswidrig sind (EuGH 29.07.2019, Rs C-209/18). Der EuGH kam zum Ergebnis, dass einzelne Teile der europäischen Dienstleistungsrichtlinie nicht in das nationale Gesetz umgesetzt wurden. Insbesondere wurde vom EuGH bemängelt, dass durch die Aufrechterhaltung des Koalitionsverbots gegen die Dienstleistungsfreiheit verstoßen wird und die multidisziplinäre  Tätigkeit (unterschiedliche Leistungen aus einer Hand) von Ziviltechnikergesellschaften beschränkt wird. Um einen europarechtskonformen Zustand herzustellen, war bereits im Jahr 2021 wieder eine umfassende Novellierung des Ziviltechnikergesetzes mit folgenden Änderungen notwendig:

  • Die Höhe der zwingenden Beteiligung von ZiviltechnikerInnen an Ziviltechnikergesellschaften wurde auf 50% herabgesetzt. Bisher mussten ZiviltechnikerInnen „die Mehrheit“ (sohin 51%) an den Gesellschaftsanteilen halten.

  • ZiviltechnikerInnen ist es nun gestattet, interdisziplinäre Gesellschaften mit Angehörigen anderer Berufe zu bilden und somit auch andere Tätigkeiten als jene des Ziviltechnikerberufs auszuüben.

Mit der nunmehrigen Möglichkeit der Gründung von interdisziplinären ZT-Gesellschaften zwischen ZiviltechnikerInnen und Angehörigen anderer Berufe ist eine weitreichende Neuerung für den Berufsstand eingetreten. ZT-Gesellschaften können nun auch Tätigkeiten abseits des Ziviltechnikerberufs ausüben. Die Geschäftsführung einer interdisziplinären Gesellschaft darf allerdings weiterhin nur von einem Gesellschafter mit aufrechter Ziviltechnikerbefugnis ausgeübt werden. Die interdisziplinäre ZT-Gesellschaft hat den Zusatz „interdisziplinäre Gesellschaft mit Ziviltechnikern“ im Firmenwortlaut zu tragen. Zudem ist auf den Geschäftspapieren die Befugnis aller beteiligten Gesellschafter anzuführen. Bis zum heutigen Tag wurden bislang weniger als ein Dutzend interdisziplinäre ZT-Gesellschaften in Österreich ins Firmenbuch eingetragen.

Obwohl der EuGH auch das sogenannte „Koalitionsverbot“ (ursprünglich in § 23 Abs 3 ZTG 2019 geregelt) als unionsrechtswidrig erkannte, blieb dies bei der Novelle des ZTG 2019 im Jahr 2021 noch unberücksichtigt. Daran änderte auch die noch vor der Kundmachung der Novelle erfolgte Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs nichts, der entschied, dass das Koalitionsverbot auf Grund der Unionsrechtswidrigkeit unangewendet zu bleiben hat, da es eine Verletzung des Gleichheitssatzes darstellt (VfGH 04.03.2021, E 3131/2020). Das Koalitionsverbot hat die Bildung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (zB Arbeits- und Bietergemeinschaft) mit einschlägig ausführenden Gewerbetreibenden untersagt. Es war ZiviltechnikerInnen sohin nicht gestattet, eine Arbeits- bzw Bietergemeinschaft mit facheinschlägigen ausführenden Gewerbetreibenden zu bilden. In der Praxis am bedeutendsten war das Verbot eines Zusammenschlusses aus Architekturbefugnis und Baumeisterberechtigung. Die Trennung zwischen Planung und Ausführung war oberstes Gebot. Hat eine Bietergemeinschaft, bestehend aus ZiviltechnikerIn und ausführenden Gewerbetreibenden, ein Angebot in einem Vergabeverfahren abgegeben, wurde bislang gegen das Berufsrecht der ZiviltechnikerInnen verstoßen und das Angebot war zwingend auszuscheiden (VwGH 30.06.2004, Zl 2002/04/001).

Mit der aktuellen Novelle des ZTG 2019, die nun seit 01.01.2022 in Kraft ist, wurde auch das Koalitionsverbot ersatzlos gestrichen. ZiviltechnikerInnen und ausführende Gewerbetreibende können sich nunmehr gemeinsam als Arbeits- bzw Bietergemeinschaft an einem Vergabeverfahren beteiligen. Unter ZiviltechnikerInnen ist der Wegfall des Koalitionsverbotes durchwegs ein umstrittenes und vor allem auch ein emotionales Thema, galten doch ZiviltechnikerInnen bislang als die „rechte“ Hand des Bauherrn – von den ausführenden Gewerbetreibenden – unabhängige Berater und Planer. In der Branche besteht nunmehr die Sorge, dass die Unabhängigkeit den wirtschaftlichen Interessen der gesamten Baubranche weichen wird. Diese Sorge ist durchaus begründet, wenn man auf die Umsatzzahlen der Bauleistungen blickt, welche um ein Vielfaches höher als jene der Planungsleistungen sind. Die Marktmacht der ausführenden Gewerke kann daher tonangebend sein, wenn sich Planungs- und Bauleistungen im direkten Marktwettbewerb treffen.

 
Brigitte Berchtold