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Nachträgliches Ausscheiden im Vergabeverfahren

 

Monatsbrief Initiative Baukunst 09/2021 - Initiative Baukunst / Newsletter

Wer sich als Dienstleister an einem öffentlichen Vergabeverfahren beteiligt, hat meist einen langen aufwändigen Vergabeprozess hinter sich zu bringen, bis endlich eine konkrete Chance auf den Auftrag zu erkennen ist. Zumeist handelt es sich um zweistufige Vergabeverfahren wie zB einem Verhandlungsverfahren. In der ersten Stufe (Teilnahme- bzw Präqualifikationsphase) müssen die Bewerber von Gesetzes wegen ihre Eignung nachweisen. In der Praxis wird dabei meist sehr viel Wert auf Referenzprojekte gelegt, um nachzuweisen, dass der Bewerber auch das notwendige Knowhow mitbringt. Eher nebenher werden die gesetzlich zwingend vorgeschriebenen Nachweise, wie die Befugnis, die Bezahlung von Steuern und die strafrechtliche Unbescholtenheit der Geschäftsführung abgefragt. Meist lässt der Auftraggeber eine Eigenerklärung gelten und überprüft diese Angaben gar nicht.

Wer nun mit guten Referenzen und der Eigenerklärung zur nächsten Verfahrensstufe und damit zur Legung eines konkreten Angebots eingeladen wird, geht vermeintlich davon aus, seine Eignung sei nun nachgewiesen. Gemäß den gesetzlichen Bestimmungen darf nämlich „nur geeigneten Bewerbern“ die rechtzeitig einen Teilnahmeantrag gestellt haben, eine Beteiligung am Vergabeverfahren gewährt werden (§ 123 Abs 2 BVergG). Wer geeignet aber aufgrund der Auswahlkriterien nicht zur Legung eines Angebotes eingeladen wird, darf umgekehrt davon ausgehen, dass eben nur geeignete und bessere Bewerber vorhanden waren und diese deshalb vorgezogen wurden.

In der Rechtsprechung zeigt sich in letzter Zeit aber eine Tendenz, die gerade das hier beschriebene Vertrauen der eingeladenen Bieter aber auch der unterlegenen Bewerber stark erschüttert. Immer öfter werden (vermutlich auch „unliebsame“) Bieter nach Legung eines Angebotes ausgeschieden, und zwar mit der Begründung, sie hätten die Eignung zum Ende der Teilnahmefrist nicht ordnungsgemäß nachgewiesen. Besonders seltsam ist diese Begründung, wenn der Auftraggeber dies darauf zurückführt, dass die Eignungsprüfung eben unvollständig war und nun nachträglich feststünde, dass man gar nicht eingeladen werden durfte, um ein Angebot zu legen. Es handelt sich also gerade nicht um einen neuen Umstand, der erst nachträglich eingetreten ist (zB Verlust der Befugnis nach der Eignungsprüfung). Der Auftraggeber gibt lediglich zu verstehen, dass er die Eigenerklärung nicht weiter geprüft hat; hätte er sie geprüft, wäre der Mangel schon früher hervorgekommen. Für Bieter, die einen langwierigen Vergabeprozess durchlaufen und entsprechende Kosten auf sich genommen haben, ist dies aus gutem Grund nicht nachvollziehbar und mitunter frustrierend. Die Rechtsprechung lässt aber gerade diese Konstellation zu, dass einem Bieter – mit Verweis auf eine unvollständige Eignungsprüfung – nachträglich die Eignung aberkannt wird. So hat das Bundesverwaltungsgericht aktuell folgende rechtliche Begründung geliefert: „In einem zweistufigen Vergabeverfahren wäre die Eignung in der ersten Stufe zur prüfen, sodass der Auftraggeber gemäß § 123 Abs 2 BVergG 2018 das Vorliegen eines Ausschlussgrundes auch mit der Nichtzulassung zur Teilnahme am Vergabeverfahren sanktionieren kann. Unterlässt er diese Vorgangsweise, ändert das nichts am objektiven Vorliegen eines Ausscheidenstatbestandes, weshalb er verpflichtet ist, das betroffene Angebot jederzeit auszuscheiden(BVwG 14.09.2021, W187 2244216-1/25E). Damit wurde abermals erkannt, dass sich ein Auftraggeber – zu Lasten eines Bieters – nicht an die gesetzlichen Vorgaben halten muss. Für den betreffenden Bieter stellt dies zweifelsfrei einen völligen Vertrauensverlust dar. 

Das Ergebnis ist aber auch für jene Bewerber nachteilig, die zwar geeignet waren, aber aufgrund ihrer schlechteren Auswahlbewertung nicht zur Legung eines Angebotes eingeladen wurden. Hätte nämlich der Auftraggeber seine Pflicht zur vollständigen Eignungsprüfung wahrgenommen, wäre der vermeintlich vorgereihte Mitbewerber angesichts fehlender Eignung bereits auszuscheiden gewesen und sein Platz für einen nachgereihten Bieter freigeworden. Der nachgereihte, nicht eingeladenen Bewerber hätte bei gesetzeskonformer Angebotsprüfung damit die Chance gehabt ein Angebots zu legen und den Auftrag zu erhalten.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das nationale Vergaberecht und die zugehörige nationale Rechtsprechung deutlich den Zweck eines Bieterschutzes und das Gebot der Gleichbehandlung aus den Augen verlieren. Immer öfter werden formalistische Fehler in der Angebotslegung und damit in den Handlungen der Bieter in den Mittelpunkt gestellt (siehe auch aktuell in den Medien die beabsichtigte Vergabe der Doppelstock-Elektrotriebzügen durch die ÖBB an die schweizerische Stadler Rail, die wegen eines Formmangels für nichtig erklärt wurde, BVwG vom 10.09.2021, W131 2243410-2). Die Aufgaben und Pflichten der Auftraggeber rücken dabei immer mehr in den Hintergrund und die angerufenen Gerichte „beheben“ etwaige Mängel ohne Kostenfolgen für den Auftraggeber. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, gehen Aufträge nicht mehr an den Best- oder Billigstbieter, sondern an jene Bieter, die sich am Puls der vergaberechtlichen „Dos and don’ts“ orientieren. Die Empfehlung aus derzeitiger Sicht lautet daher: Keine Eigenerklärungen abgeben und damit den Auftraggeber zwingen, eine Eignungsprüfung auf Herz und Nieren vorzunehmen. Damit ist der Sinn der Eigenerklärung, nämlich eine einfache Verfahrensbeteiligung, wieder begraben worden.  

 
Sandro Huber